Heimwege - Egy német-magyar történet
Künstlerbuch, 14,8 x 21 cm, 88 Seiten + 16 Seiten Textheft mit Übersetzungen
in Zusammenarbeit mit Attila Schuck
Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen
1906, Pilisszentiván, ein Dörfchen in der österreichisch-ungarischen Monarchie, von schwäbischen Siedlern gegründet und in mehreren Wellen besiedelt, in unmittelbarer Nähe von Budapest, einer der Hauptstädte des Doppelstaates. Eine Familie von Bergleuten hat ihr ganzes Hab und Gut zusammengepackt und wartet nun darauf, dass ihr Zug losfährt, nach Rünthe ins Ruhrgebiet, in eine entfernte Ecke des Deutschen Reiches, wo die neu eröffnete Kohlemine dank der Zweiten Industriellen Revolution massenweise gesicherte Beschäftigungsmöglichkeit und einen sicheren Lebensunterhalt bietet. Die Fakten sind bekannt, die Beweggründe nicht. Ich kann nur vermuten, dass dies im Hintergrund gestanden haben könnte, wie im Falle von sehr vielen Familien zu dieser Zeit, die alles und alle hinter sich ließen und auf ein Schiff oder in einen Zug stiegen in der Hoffnung auf ein schöneres Leben, auf eine sicherere Zukunft, in vielen Fällen von den Illusionen dieser Erwartungen verfolgt. Leider habe ich das Gefühl, dass dies nun niemals mehr enthüllt werden wird.
Die Vertreibung der Deutschstämmigen in Ungarn erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1946 und 1948. Die ungarische Übergangsregierung handelte wahrscheinlich unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsbehörde. Das Hauptargument für die Aussiedlung von Ungarndeutschen begründet durch ihre kollektive Schuld war, wenn sich jemand 1941 zum Zeitpunkt der Volkszählung als deutscher Muttersprachler oder deutscher Staatsangehöriger erklärte. Die Vertreibung war massiv, aber nicht vollständig, von den 380.000 Deutschstämmigen in Un-garn entzog die ungarische Regierung mindestens 185.000 Deutschstämmigen ihre Staatsbürgerschaft und ihr Vermögen und verlegte sie in das hungernde und in Trümmern liegende Deutschland. Das Dorf, in dem meine Großeltern lebten, gehörte nicht in die Reihe der Hauptschauplätze der Aussiedlungen, aber wie er erzählte, wurde mein Großvater einmal zum örtlichen Büro gerufen und man legte ihm ein Papier vor, das er, ohne nachzudenken, sofort unterschreiben sollte, wenn er bleiben wollte. Laut diesem Papier sollte er sich von diesem Moment an nur noch als ungarischer Staatsbürger ausgeben. Da ich in Ungarn geboren wurde, denke ich, dass er sich für den Rest seines Lebens in offiziellen Angelegenheiten an dieses Dokument hielt.
Eine andere Sache: Nämlich dass laut meinem Vater meinem Großvater seine Abstammung, beziehungsweise sein Geburtsort Rünthe, während seines gesamten Lebens wichtig war. Nach ein paar Gläsern Wein erzählte er oft darüber, dass er gerne zurückgehen und den Ort ansehen möchte, den er im Alter von sieben Jahren gezwungen war zu verlassen. In Ungarn, dem Geburtsort seiner Eltern, wurde er in einer völlig fremden Umgebung empfangen. Später, nach dem zweiten Weltkrieg war es jedoch aufgrund der sowjetischen Besatzung und seiner Herkunft nicht möglich, einen Pass zu erhalten und die Landesgrenzen legal zu überschreiten. Und er versuchte es nicht auf an-derem Wege. Wahrscheinlich hätte eine eventuelle Flucht mit 7 Kindern nur sehr geringe Erfolgschancen gehabt. So blieb ihm der Wein, die Sehnsucht und die Erinnerung.
Die freie Luft nach dem Regimewechsel bot unzählige neue Möglichkeiten, darunter wurde mit Öffnung der Grenzen auch die Arbeit im Ausland für alle zugänglich. Von hier aus war es möglich, legal in den Westen zu ziehen, statt akribisch eine Flucht zu planen, genügte es, einen Vertrag zu unterschreiben. Mein Vater zog auch für ein Jahr nach Deutschland, heutzutage könnten wir ihn einen mobilen Arbeiter nennen. Meine Mutter und ich blieben zu Hause, und mein Vater kam jeden zweiten oder dritten Monat nach Hause, um uns für ein Wochenende zu besuchen. Wenn er spät ankam, durfte ich lange aufbleiben und noch am selben Tag mit offenem Mund staunen, beim Anblick der salzigen Erdnüsse und Schokoladenhaufen, die aus dem Koffer zum Vorschein kamen. Dann, zwei Tage später, machte er sich im Morgengrauen auf den Rückweg. Eine eintägige Fahrt, 1200 km. So lief es ein Jahr lang. Ich glaube nicht, dass er dies für einen längeren Zeitraum geplant hat, und ob er eventuell daran gedacht hat, mit uns wegzuziehen, weiß ich nicht. Wie auch immer, wir sind zu Hause geblieben und haben, als das Jahr vergangen war, ein neues Auto bekommen.